Steuerliche Unterscheidung zwischen Grenzgängern und internationalen Wochenaufenthalterinnen

im Verhältnis zu Deutschland

Immer wieder führt die steuerliche Unterscheidung zwischen Grenzgängern und internationalen Wochenaufenthalterinnen zu Unklarheiten. Insbesondere bei Personen mit einer zivilrechtlichen Aufenthaltsbewilligung als Grenzgänger («G-Bewilligung») besteht fälschlicherweise oft die Annahme, sie würden auch im steuerlichen Sinne als solche qualifizieren. Das Steuerrecht kennt jedoch — losgelöst von der zivilrechtlichen Aufenthaltsbewilligung — eine eigenständige Begriffsdefinition von Grenzgängern und internationalen Wochenaufenthalterinnen. Je nach Qualifikation hat dies unterschiedliche steuerliche Konsequenzen.

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Als internationale Wochenaufenthalterinnen qualifizieren Personen, die beispielsweise unter der Woche in der Schweiz für eine Schweizer Arbeitgeberin arbeiten und am Wochenende jeweils an den Familienort im Ausland zurückkehren (Lebensmittelpunkt ist im Ausland). Grenzgänger hingegen sind Personen, die beispielsweise in der Schweiz für eine Schweizer Arbeitgeberin arbeiten und in der Regel täglich über die Landesgrenze an den ausländischen Wohnsitz zurückpendeln (arbeitstägliche Rückkehr an den Lebensmittelpunkt im Ausland). Ungeachtet des zivilrechtlichen Aufenthaltsstatus oder der Staatsbürgerschaft kennt das Steuerrecht eine eigenständige Begriffsdefinition von Grenzgängern und internationalen Wochenaufenthalterinnen.

Im vorliegenden Fachbeitrag wird die steuerliche Unterscheidung zwischen Grenzgängern und internationalen Wochenaufenthalterinnen aus schweizerischer Perspektive in Bezug auf Deutschland und die entsprechenden steuerlichen Konsequenzen beleuchtet. Die Schweiz beschäftigt rund 65'000 Arbeitnehmende aus Deutschland, weshalb die Unterscheidung zwischen Grenzgängern und internationalen Wochenaufenthalterinnen im Verhältnis zu Deutschland besondere Relevanz hat.

Zunächst ist zu beachten, dass sich die steuerliche Ansässigkeit bei Grenzgängern und internationalen Wochenaufenthalterinnen gemäss Schweizer innerstaatlichem sowie internationalem Steuerrecht bzw. Doppelbesteuerungsabkommen im Regelfall im Ausland befindet. In den meisten Fällen resultiert daraus in der Schweiz lediglich eine beschränkte Steuerpflicht aufgrund wirtschaftlicher Zugehörigkeit. Die nachfolgenden Ausführungen beziehen sich auf Sachverhalte, in denen die steuerpflichtige Person ihre steuerliche Ansässigkeit in Deutschland hat und ein Erwerbseinkommen aus unselbständiger Erwerbstätigkeit in der Schweiz erzielt.
 

Echte Grenzgänger

Echte Grenzgänger sind im Doppelbesteuerungsabkommen zwischen der Schweiz und Deutschland (nachfolgend «DBA CH-DE») in Art. 15a geregelt. Damit eine Person als echter Grenzgänger qualifiziert, müssen kumulativ drei Voraussetzungen erfüllt sein:

  1. Grundsätzlich findet eine tägliche bzw. regelmässige Rückkehr vom Arbeitsort in der Schweiz an den Wohnort in Deutschland statt, sofern diese zumutbar ist bzw. effektiv erfolgt.
  2. Die erwerbstätige Person legt dem Schweizer Arbeitgeber eine Ansässigkeitsbescheinigung des deutschen Finanzamtes («Formular Gre-1» bzw. «Gre-2») vor.
  3. Die erwerbstätige Person weist weniger als 60 Nichtrückkehrtage auf. Das bedeutet, dass aus beruflichen Gründen an weniger als 60 Tagen pro Jahr nicht an den Wohnsitz in Deutschland zurückgekehrt wird bzw. das entsprechende «Formular Gre-3» nicht eingereicht wurde.

Echte Grenzgänger werden sodann für das entsprechende Lohneinkommen grundsätzlich im Wohnsitzstaat in Deutschland besteuert, die Schweiz als Tätigkeitsstaat erhebt eine Quellensteuer von 4,5 Prozent des Bruttobetrages der Vergütung. Die Schweizer Quellensteuer von 4,5 Prozent wird in Deutschland an die deutsche Einkommenssteuer angerechnet.

Nachfolgend werden die drei oben genannten Voraussetzungen für die steuerliche Qualifikation als Grenzgänger im Detail erläutert.

1 | Regelmässigkeit und Zumutbarkeit der Rückkehr

In Bezug auf Deutschland gibt es kein steuerlich definiertes Grenzgebiet. Die am 12.10.2018 abgeschlossene Konsultationsvereinbarung zwischen der Schweiz und Deutschland hält jedoch fest, dass bei kürzester einfacher Wegstrecke von weniger als 100 km (mit dem Auto) bzw. bei schnellster Verbindung von weniger als 1,5 Stunden pro Wegstrecke (mit den öffentlichen Verkehrsmitteln) die Rückkehr vom Arbeitsort an den Wohnort grundsätzlich zumutbar ist. Ob die Rückkehr an den deutschen Haupt- oder Zweitwohnsitz tatsächlich erfolgt, ist grundsätzlich unbeachtlich.

Wenn im umgekehrten Fall trotz Unzumutbarkeit (Strecke von mehr als 100 km bzw. 1,5 Stunden) nachweislich arbeitstäglich an den Wohnort zurückgekehrt wird, sind stets die tatsächlichen Verhältnisse massgebend und die Person kann trotz steuerlicher Unzumutbarkeit der Rückkehr als Grenzgänger eingestuft werden.

Da immer mehr Tage im Homeoffice geleistet werden und das tägliche Pendeln über die Grenze, wie es im herkömmlichen Verständnis von Grenzgängern üblich ist, weniger häufig vorkommt, stellt sich die Frage, wie viele Tage im Homeoffice erlaubt sind, um als echter Grenzgänger zu qualifizieren. Die echte Grenzgängereigenschaft bedingt im Grundsatz, dass eine regelmässige Rückkehr stattfindet.

Gemäss damaligem Einführungsschreiben der ESTV vom 06.09.1994 zu Art. 15a DBA CH-DE, welches noch heute Gültigkeit hat, liegt eine regelmässige Rückkehr im Sinne der Grenzgängereigenschaft auch noch vor, wenn sich Arbeitnehmende mindestens an einem Tag pro Woche oder mindestens an fünf Tagen pro Monat vom Arbeitsort an den Wohnort und zurückbegeben. Bei der Tätigkeit im Homeoffice kann damit die echte Grenzgängereigenschaft grundsätzlich erhalten bleiben, sofern die tägliche Rückkehr zumutbar ist bzw. ein regelmässiger Grenzübertritt vom Wohnsitz an den Arbeitsort erfolgt.

2 | Ansässigkeitsbescheinigung des deutschen Finanzamtes

Eine weitere Voraussetzung für die echte Grenzgängereigenschaft ist das Vorliegen einer deutschen Ansässigkeitsbescheinigung des deutschen Finanzamtes. Wird diese Bestätigung erstmalig erteilt, trägt sie die Bezeichnung «Formular Gre-1». Wird die Bestätigung in der Folge verlängert, trägt sie die Bezeichnung «Formular Gre-2». Beide Formulare haben eine Gültigkeit von jeweils einem Jahr und müssen bei einem Stellenwechsel neu beantragt werden.

3 | 60-Tage-Regelung (Nichtrückkehrtage)

Grundsätzlich führen vereinzelte Unterbrechungen nicht dazu, dass die echte Grenzgängereigenschaft entfällt. Kehrt die erwerbstätige Person jedoch aus beruflichen Gründen an mehr als 60 Tagen pro Kalenderjahr (sog. Nichtrückkehrtage) vom Arbeitsort in der Schweiz nicht an den Wohnort nach Deutschland zurück, entfällt die echte Grenzgängereigenschaft. Bei einem Teilzeitpensum oder bei einem unterjährigen Arbeitsbeginn sind die 60 Tage entsprechend anteilig zu reduzieren. Nichtrückkehrtage, die rein privat bedingt sind, qualifizieren nicht als Nichtrückkehrtage.

Auch Homeoffice Tage im Ansässigkeitsstaat Deutschland qualifizieren nicht als Nichtrückkehrtage. Die Begründung hierfür ist, dass wenn der Wohnsitz nicht verlassen wird, auch keine Nichtrückkehr möglich ist. Wichtig in diesem Zusammenhang ist, dass Homeoffice-Tage nicht dazu führen, dass die Anzahl von 60 Nichtrückkehrtagen entsprechend gekürzt wird (dies war nur während der Covid-Pandemie anders geregelt).
 

Internationale Wochenaufenthalterinnen

Wenn eine tägliche Rückkehr vom Arbeitsort an den Wohnort unzumutbar ist und tatsächlich nicht stattfindet, qualifiziert die erwerbstätige Person als internationale Wochenaufenthalterin. Wäre die Rückkehr grundsätzlich zumutbar, jedoch keine Ansässigkeitsbescheinigung («Formular Gre-1» bzw. «Gre-2») vorliegt und/oder mehr als 60 beruflich bedingte Nichtrückkehrtage auftreten («Formular Gre-3»), handelt es sich um eine sogenannte unechte Grenzgängereigenschaft.

Die internationale Wochenaufenthalterin wie auch die unechte Grenzgängerin sind im DBA CH-DE nicht speziell geregelt und folgen damit der üblichen Zuteilungsnorm betreffend die unselbständige Erwerbstätigkeit nach Art. 15 DBA CH-DE. Die Norm statuiert das steuerlich internationale Arbeitsortsprinzip, wonach die in der Schweiz physisch vor Ort geleisteten Arbeitstage vollumfänglich den hiesigen ordentlichen Tarifen der (Quellen-)Besteuerung unterworfen sind. Arbeitstage mit Arbeitsausführung am Wohnsitz in Deutschland oder ausserhalb der Schweiz (z.B. Auslandsreisen in Drittstaaten) sind in der Schweiz steuerlich freizustellen (nicht jedoch bezahlte Abwesenheitstage ohne Arbeitsleistung wie z.B. Ferien- oder Krankheitstage). Unabdingbar ist es in diesem Zusammenhang, ein lückenloses und von Arbeitnehmerin und Arbeitgeber beidseitig unterzeichnetes Kalendarium zu führen, in welchem sämtliche Arbeitstage und die entsprechenden Arbeitsorte, Ferien- und Abwesenheitstage festgehalten werden.

In Bezug auf die Formalitäten müssen Arbeitnehmende, die aus beruflichen Gründen an mehr als 60 Tagen pro Jahr nicht an den deutschen Wohnort zurückzukehren können, beim jeweiligen Steueramt das «Formular Gre-3» einreichen (Bescheinigung des Arbeitgebers über die Nichtrückkehr an mehr als 60 Arbeitstagen). Die Einreichung dieses Formulars erfolgt grundsätzlich nach Ablauf des betreffenden Kalenderjahres bis spätestens Ende März des Folgejahres. Es ist wichtig zu beachten, dass im «Formular Gre-3» nur die Nichtrückkehrtage aus beruflichen Gründen angegeben werden dürfen und nicht solche, die rein privater Natur sind.

Haben Arbeitnehmende im Laufe des Kalenderjahres mehrere Arbeitgeber, muss die Grenzgängereigenschaft nicht für jedes Arbeitsverhältnis separat beurteilt werden. Stattdessen erfolgt eine Gesamtbeurteilung. Dennoch muss das «Formular Gre-3» für jedes Arbeitsverhältnis eingereicht werden. Da aufgrund des «Formulars Gre-3» eine Besteuerung nach den ordentlichen Quellensteuertarifen erfolgt, empfiehlt es sich, bei der entsprechenden Steuerbehörde nebst dem ausgefüllten, mit dem Firmenstempel und rechtsgültig unterzeichnetem «Formular Gre-3» auch die Bescheinigung/Aufstellung der Nichtrückkehrtage sowie ein Kalendarium über die physischen Aufenthalte während der Arbeitszeit einzureichen.

 

Exkurs: Zusammenhang mit Art. 15a DBA CH-DE als «lex specialis»

Das DBA CH-DE sieht vor, dass die Grenzgängerregelung nach Art. 15a DBA CH-DE der üblichen Zuteilungsnorm betreffend die Besteuerung von Einkünften aus unselbständiger Erwerbstätigkeit vorgeht. Dies betrifft auch die Spezialregelung hinsichtlich der Besteuerung von «leitenden Angestellten» (grundsätzliche Besteuerung am Sitzstaat der Gesellschaft) gemäss Art. 15 Abs. 4 DBA CH-DE.

 

Entscheidungsbaum

Der nachfolgende Entscheidungsbaum bietet Unterstützung bei der Beurteilung der echten Grenzgängereigenschaft bzw. unechten Grenzgängereigenschaft und des internationalen Wochenaufenthalterstatus:

 

Fazit

Die korrekte Qualifikation ist von entscheidender Bedeutung, da sich die Besteuerung des echten Grenzgängers von der Besteuerung der unechten Grenzgängerin oder der internationalen Wochenaufenthalterin in Bezug auf Deutschland wesentlich unterscheidet. Der echte Grenzgänger wird grundsätzlich im Ansässigkeitsstaat besteuert, wobei dem Tätigkeitsstaat eine (Quellen-)Besteuerung von 4,5 Prozent der Bruttoeinkünfte zusteht. Im Gegensatz dazu wird die unechte Grenzgängerin bzw. die internationale Wochenaufenthalterin grundsätzlich am Arbeitsort besteuert.

 


[1] Personen mit einer Aufenthaltsbewilligung «G» (siehe Grenzgängerinnen und Grenzgänger | Bundesamt für Statistik (admin.ch), abgerufen am 06.09.2023)