Die Auswirkungen der Ökonomisierung auf das strategische Handeln der Non-Profit-Spitex

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Kostendruck und ein starker Wunsch nach möglichst vollständiger Transparenz seitens der öffentlichen Hand sind für die Non-Profit-Spitex seit längerer Zeit keine Unbekannten. Zusammen mit einer weiteren Liberalisierung des Pflegemarktes wird sich dieser Trend für den Bereich des gesetzlichen Auftrages noch weiter verstärken. Die Spitex-Organisationen sind daher aufgerufen, die vorhandenen Finanz- und Leistungsdaten nicht nur konsequent zu ermitteln, sondern auch in strategisches Handeln umzumünzen.

 

Die Neugestaltung der Kostenrechnung führt zu neuen Kostenwahrheiten

Ursprünglich war die Kostenrechnung der Spitex insbesondere für die Finanzierer interessant. Basierend auf den Jahresergebnissen wurden Tarife und Kostenbeiträge der öffentlichen Hand festgelegt — dies meist in einem mehrjährigen Zyklus und als wiederholender Prozess. Mit dem starken Wachstum der ambulanten Pflege geriet jedoch auch die absolute Höhe der Kosten schnell in die Aufmerksamkeit der politischen Diskussion und führte gleichzeitig zu einer höheren «Taktfrequenz» in der Diskussion zwischen Spitex-Organisation und Finanzierer. Vermehrt wurden Kostenvergleiche mit anderen Organisationen erstellt, wobei häufig schon die uneinheitliche Datenqualität solche Vergleiche in ihrer Aussagekraft schmälerten.

Der Spitex-Verband Schweiz und die ihm angeschlossenen Organisationen haben darauf mit der Neugestaltung des Finanzmanuals reagiert. Die Datengrundlage für die Kostenrechnung in den Finanz- und Leistungssystemen wurde massiv vereinheitlicht, mit dem Ziel, die Vergleichbarkeit zu erhöhen. Gleichzeitig werden in die Auswertung der Kostenrechnung neben den reinen Finanzdaten auch verstärkt Zeit- und Leistungsdaten einbezogen. Die Kostenrechnung kann also künftig auch detaillierter ausgewertet werden. Es braucht nur wenig Voraussicht, dass künftig zusätzlich Strukturdaten (Klienten- oder Falldaten) einbezogen werden. Diese Strukturdaten liegen bereits vor und müssten nur noch mit den Finanz- und Leistungsdaten vernetzt werden. Ein Benchmarking macht jedoch nur Sinn, wenn auch Kundenstruktur und Einsatzgebiet berücksichtigt werden. Sprich: Bald werden diese hochauflösenden Daten zu jeder Organisation vorliegen — und dies vermutlich beinahe in Echtzeit, dank Automatisierung in den Auswertungsprozessen.

Hochauflösend bedeutet in diesem Zusammenhang, dass man die früher eher statischen Umlagen, insbesondere bei Personalkosten, Wegzeiten oder Inkonvenienzen durch dynamische, fallspezifische Umlagen ersetzen kann. Die Kostenrechnung ist damit deutlich näher an der betriebswirtschaftlichen Realität. Erste Auswertungen basierend auf dem neuen Finanzmanual zeigen denn auch neue Kostenwahrheiten, z.B. eine Verschiebung der Vollkosten von KVG- zu IV-Leistungen.  

Zusätzlich wird man sich Überlegungen machen müssen, ob es inskünftig nicht zweckorientierte und damit unterschiedliche Kostenrechnungen geben wird. Eine vergleichende Kostenrechnung für verschiedene Institutionen kann wegen den dafür notwendigen Standardisierungen andere Resultate zeigen als eine für die Steuerung des eigenen Betriebes erstellte Rechnung. Im letzteren Fall können die kalkulatorischen Kosten nach den eigenen betriebswirtschaftlichen Gegebenheiten ermittelt werden. Diese Daten können den Organisationen einen Mehrwert bringen und müssen zwingend in die Steuerung auf strategischer aber auch auf operativer Ebene einfliessen. Der Umgang mit den eigenen Daten und deren Auswertung wird dadurch komplexer und anspruchsvoller.

 

Weiterer Schub in der Ökonomisierung der Spitex

Diese neue Kostentransparenz hat zur Folge, dass die Spitex-Organisationen noch viel stärker in komparative Prozesse involviert werden und sich dementsprechend künftig noch detaillierter erklären müssen. Als Folge davon wird man sich auf Ebene der Leistungen, Prozesse und Methoden im Vergleich mit dem «Klassenbesten» messen müssen. Der Druck, in diesen kontinuierlichen «Benchmarkings» zu bestehen, wird deutlich zunehmen. Die finanzielle Performance und damit die Ökonomisierung der Spitex tritt so noch stärker in den Vordergrund.

Auch die öffentliche Hand steht unter vielfältigem Finanzdruck und wird künftig nicht mehr oder nur noch sehr eingeschränkt gewillt sein, die nicht unerheblichen Unternehmensrisiken der ambulanten Pflege allein zu tragen. Die noch bestehenden Restkosten-Finanzierungen werden voraussichtlich mittelfristig durch Normkosten-Systeme unterschiedlicher Ausgestaltung ersetzt. Aus strategischer Sicht empfiehlt es sich, diese Veränderungen zu antizipieren. In einigen Kantonen ist diese Umstellung bereits erfolgt und einige Städte und Gemeinden haben ihre Leistungsvereinbarungen bereits entsprechend angepasst. In diesem Zusammenhang bleiben auch öffentliche Ausschreibungen der Leistungsvereinbarungen ein aktuelles Thema und werden über kurz oder lang wohl zum neuen Standard werden. Dies kann zu Konkurrenzsituationen unter den Non-Profit-Spitex-Organisationen führen.

 

Zukunftsweisender Strategie-Prozess

Wie können nun die einzelnen Organisationen auf diese Veränderungen reagieren? Ziel muss es sein, die Zukunft der Non-Profit-Spitex aktiv und eigenständig zu gestalten. Die Situation in vielen Organisationen sieht jedoch anders aus. Trotz den sich sehr schnell verändernden Umfeldbedingungen, spielt das strategische Management eine noch zu geringe Rolle. Oft fehlen die dafür notwendigen Ressourcen in qualitativer aber auch in quantitativer Hinsicht. Als Folge davon richten sich die Organisationen zwangsläufig einzig auf die Leistungsvereinbarung aus. Es gehört jedoch zu den wichtigsten Aufgaben der strategischen Gremien (je nach Rechtsform Vorstand, Verwaltungsrat oder Stiftungsrat), Chancen zu erkennen, die Organisation kritisch zu hinterfragen und aktiv zu steuern. Wird dies unterlassen, verpasst man strategische Handlungsmöglichkeiten und limitiert dadurch die eigene Gestaltungsfreiheit. Dies zu ändern, bedingt auch einen Wandel im Selbstverständnis nicht nur der strategischen Gremien, sondern letztlich bei jedem einzelnen Mitarbeitenden. Im Grundsatz ist strategisches Handeln als wiederkehrender Prozess zu verstehen: Strategieentwicklung - Strategieentscheid - Strategieumsetzung - Strategieüberprüfung. In diesem Prozess befasst man sich zwar auch mit Gegenwartsfragen, jedoch mehrheitlich mit Fragen der nahen Zukunft, wobei die gewonnenen Ist-Daten aus dem Leistungsprozess einen relevanten Input bilden, um den gangbaren Weg zu definieren. Wegweisend für den Erfolg ist nicht zuletzt auch die Zusammensetzung des strategischen Gremiums, das den Prozess führt.


 

Zusammensetzung des strategischen Gremiums

Die zentrale Aufgabe des obersten exekutiven Gremiums (je nach Rechtsform Vorstand, Verwaltungsrat oder Stiftungsrat) liegt in der strategischen Führung der Organisation. Dazu gehört auch und im Wesentlichen der Strategieprozess. In der Vergangenheit waren viele dieser Gremien aus politischen Gesichtspunkten nach dem Grundsatz «wer zahlt, befiehlt» zusammengesetzt. Über die Zeit hat sich eine Zusammensetzung nach Kernkompetenzen entwickelt und etabliert. Ein Gremium muss aber auch als Einheit funktionieren. Hilb/Renz (Wirksame Führung und Aufsicht von Not-for-Profit-Organisationen, 2018) sehen das strategische Gremium einer NPO als «Gestaltungsrat», worin die einzelnen Mitglieder auch Team-Rollen auszufüllen haben. Wichtig ist das Zusammenspiel dieser Rollen. Neben eher naheliegenden Rollen wie dem «Organisator» oder dem «Controller» werden im heutigen volatilen Umfeld Rollen wie «kreative Gestalterin» oder «konstruktiver Kritiker» wichtiger. Das Anforderungsprofil wird also um eine Dimension erweitert und die Suche nach Mitgliedern für diese wichtigen und zukunftsorientierten Aufgaben müssen weiter professionalisiert werden.

 

Public Corporate Governance: Die Frage der Rechtsform ist von zentraler Bedeutung

Public Corporate Governance bezeichnet die spezifischen Steuerungs- und Kontrollmechanismen bei Organisationen, denen der Staat die Leistungserfüllung überträgt und die in staatlichem Eigentum oder zumindest in staatlicher Verantwortung bleiben. Die Schlüsselfrage ist, wie die Steuerung und Überwachung der öffentlichen Unternehmen durch die Politik organisiert werden soll. Besondere Herausforderungen stellen sich, wenn mehrere Gemeinden dieselbe Spitex-Organisation beauftragen.

Die Frage der Rechtsform ist eine der zentralen strategischen Entscheidungen. Sehr oft sehen wir die Politik als treibende Kraft, wenn es um Veränderungen der Rechtsperson geht. Die einzelnen Organisationen sollten ihre Rechtsform aber auch aus eigenem Antrieb wiederkehrend überprüfen. Dabei wird der Aspekt der «Good Governance» immer wichtiger. Auch sollen sich Pflege-Unternehmen agil im Pflege-Markt bewegen können, was nicht von allen zulässigen Rechtsformen in der notwendigen Weise unterstützt wird.  

Nach wie vor sind viele Organisationen als Verein organisiert. Der Verein hat einige Vorteile im Bereich der Aussenwirkung, insbesondere beim Einbezug der Bevölkerung. Auch besteht über Mitgliederbeiträge und Spenden ein gewisser Grad an Mitfinanzierung. Im Bereich der Governance hat der Verein aber auch Nachteile. Beispielsweise beim angemessenen Einbezug der öffentlichen Hand aber auch in Bezug auf eine repräsentative Zusammensetzung der Generalversammlung. So können wesentliche strategische Projekte durch ein Zufallsmehr oder auch durch einseitige politische Mobilisierung ohne besondere Würdigung der Vor- und Nachteile verunmöglicht werden.

Aus Sicht der strategischen Führung einer Spitex sind Rechtsformen wie die gemeinnützige Aktiengesellschaft oder die Interkommunale Anstalt IKA prüfenswert. Beide verfügen über deutlich bessere Möglichkeiten der strategischen Unternehmenssteuerung und sind flexibler anpassbar auf die Bedürfnisse der öffentlichen Hand bezüglich deren Eignerstrategie.

 

Empfehlungen für die Praxis - oder was, wenn plötzlich 10 Franken weniger pro Leistungsstunde zur Verfügung stehen?

Die Herausforderungen für die öffentliche Spitex werden nicht weniger. Fachkräftemangel und zunehmende Engpässe bei der öffentlichen Hand sind nur zwei der aktuellen Trends. Der soziodemographische Wandel der Gesellschaft spielt langfristig ebenfalls eine grosse Rolle. Und wie grenzt sich eine NPO-Spitex zur privaten Konkurrenz ab? Wie geht man generell mit plötzlichen Veränderungen um? Packen Sie diese und andere Themen besser heute als morgen an. Das Vorgehen darf ruhig pragmatisch sein, sollte aber dennoch immer systematisch sein.

Strategisches Management als wichtiges Element der eigenen Organisation verstehen. Jede Non-Profit-Spitex hat ihre Besonderheiten in Bezug auf Umfeld, Struktur, Zusammensetzung der Kunden und Personal. Die Gesamtverantwortung für die Strategie muss zwingend bei der Organisation selbst liegen. Der Einbezug von Externen kann wichtige Inputs liefern und eine Aussensicht einbringen. Die Führung des Prozesses muss jedoch bei der Organisation bleiben.

Strategisches Handeln als Prozess verstehen. Vermeiden Sie einmalige strategische Kraftübungen. Sie sind zum Scheitern verurteilt. Gehen Sie schrittweise vor. Unterziehen Sie das relevante Umfeld einer Analyse. Prüfen Sie die Stärken und Schwächen Ihrer Organisation. Formulieren Sie die Strategie und machen Sie einen Umsetzungsplan. Kommunizieren Sie intern und führen Sie anschliessend regelmässig Strategiereviews durch. So wird der Strategieprozess Teil der normalen betrieblichen Prozesse.  

Prüfen Sie Ihre Strategie mit Szenarien. Formulieren Sie anlässlich des wiederkehrenden Strategie-Reviews einige mögliche, plötzlich auftretende Veränderungen. Messen Sie, ob solche «Events» im Rahmen Ihrer Strategie bewältigt werden könnten. Sind Sie auf öffentliche Ausschreibungen vorbereitet? Was, wenn Normkosten eingeführt werden oder die Finanzmittel anderweitig eingeschränkt werden? Was passiert bei der nächsten Pandemie?

Prüfen Sie Ihre Organisation und Prozesse. Der Aufbau Ihrer Organisation muss aus der gewählten Strategie abgeleitet werden, um einen strategischen Bruch zu vermeiden. Vergleichen Sie aber trotz bestehender Eigenheiten Ihre Organisation mit anderen. Nehmen Sie an Benchmarking teil. Von Klassenbesten lässt sich lernen. Prüfen Sie auch, welche Prozesse Sie selbst durchführen wollen und wo sich allenfalls Synergien ergeben. Es bieten sich viele Möglichkeiten und Gelegenheiten zur Zusammenarbeit.

Nutzen Sie die Möglichkeiten der Digitalisierung. Eine eigene Digitalisierungsstrategie hilft, Innovationen, die zu Ihrer Spitex passen, zu identifizieren und Ihre Prozesse entsprechend funktionsfähig anzupassen. Entlasten Sie Ihre wertvollen Pflegekräfte wenn immer möglich von administrativen Arbeiten.

Steuern Sie den Kulturwandel durch Organisationsentwicklung: Bereiten Sie Ihr Personal rechtzeitig auf Veränderungen vor und beziehen Sie die Mitarbeitenden mit ein. Spielen Sie dabei das humanistische Menschenbild der NPO-Spitex aus und verbinden Sie es mit den unternehmerischen Herausforderungen des Unternehmens. Die NPO-Spitex wird sich als hervorragender Arbeitgeber positionieren können.

 

Fazit

Die ambulante Pflege steht mitten im Wandel. Dies wird sich auch auf absehbare Zeit nicht ändern. Die nächsten grossen Themen stehen schon an (z.B. die integrierte Versorgung). Die unternehmerischen Ansprüche an die Non-Profit-Spitex werden weiter steigen und die Tätigkeiten noch stärker in der öffentlichen Wahrnehmung stehen. Dies wird letztlich alle Aspekte der unternehmerischen Tätigkeit der Non-Profit-Spitex betreffen. Sich jetzt darauf vorzubereiten heisst, den Change-Prozess anzustossen und sich strategisch damit auseinanderzusetzen.

 


 

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