Ausschreibung und Evaluation einer ERP-Lösung – was es zu beachten gilt

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Die Begriffe «Ressourcen» und «Ressourcenknappheit» sind in vielen Non-Profit-Organisationen allgegenwärtig. Gute IT-Systeme können in diesem Kontext eine zentrale Rolle spielen, denn sie schaffen Überblick über personelle und finanzielle Ressourcen. Aber wie findet man das richtige System und was gilt es als NPO bei der Ausschreibung und Evaluation zu beachten?

Nicht nur Non-Profit-Organisationen (NPO), sondern auch kleine und mittlere Unternehmen (KMU) setzen für die Planung, Verwaltung, Allokation und Steuerung von Ressourcen üblicherweise IT-Systeme ein. Im Fachjargon wird dabei von ERP-Systemen (Enterprise Resource Planning, dt. Ressourcenplanung für Unternehmen) gesprochen. Im Schweizer Markt bekannt und verbreitet sind eine Vielzahl unterschiedlicher Produktanbieter wie etwa Abacus, SAGE, SAP oder auch Microsoft Dynamics. Einige Organisationen vertrauen nach wie vor auf Excel-Mappen, mit denen sie in erhöhter Komplexität ihre Ressourcen bestmöglich zu verwalten versuchen.

Weshalb ein ERP-System einführen, wenn es auch mit Excel geht? Die Schlüsselwörter lauten Effizienz und Planungssicherheit. Die Anwendung von ERP-Systemen unterstützt, digitalisiert oder automatisiert verschiedene Kern- und Supportprozesse in einem Unternehmen. Damit ermöglicht die ERP-Lösung eine effiziente Nutzung und Steuerung von wichtigen Ressourcen für reibungslose Abläufe im Betrieb und die Führung der Organisation. Die dafür benötigten Daten stammen in der Regel aus der Finanz- oder Personalabteilung. Ein ERP ist somit eine Kernapplikation für alle Arten von Organisationen – schon ab einer kleinen Anzahl von Mitarbeitenden.

 

Voraussetzungen und Schlüsselfaktoren für ein passendes ERP-System

Damit eine NPO oder ein KMU den gewünschten Output aus einer ERP-Lösung erhält und das beste Kosten-Nutzen-Verhältnis erzielen kann, sind einige Schlüsselfaktoren zu berücksichtigen.
 

Abdeckung der eigenen Prozesse

Ein ERP-System setzt bei den Prozessen einer Organisation an. Umso wichtiger ist es, dass eine entsprechende Lösung diese möglichst eng und umfassend abbilden und unterstützen kann. Seitens NPO oder KMU sind hier ein gewisser Grad an Flexibilität und Offenheit gegenüber einer Anpassung oder Transformation der eigenen Prozesse zentral. Denn eine ERP-Lösungen bildet Prozesse nach eigenen Überlegungen und Schemata ab. Nur in den seltensten Fällen sind diese Überlegungen deckungsgleich mit den Prozessen, wie sie in der eigenen Organisation bereits etabliert sind. Demnach darf nicht davon ausgegangen werden, dass ein ERP standardmässig wie angegossen auf die eigene Organisation und die eigenen Prozesse passt. Um dem entgegenzuwirken bieten die meisten Anbieter gewisse Anpassungsmöglichkeiten, die sich hingegen vielfach auf einige Parametrisierungs- und Konfigurationsmöglichkeiten beschränken und kein umfassendes Umbauen zulassen.
Eine Individualentwicklung könnte Abhilfe schaffen, ist für viele (gemeinnützige) Organisationen aber sowohl aus Investitions- als auch Betriebskostensicht keine attraktive Alternative.

Technische Anforderungen

Eine (neue) ERP-Lösung passt bestenfalls technisch in die bestehende IT-Architektur. Ist dies nicht der Fall, muss eine Organisation bereit sein, die Architektur ausgehend vom ERP-System gesamthaft zu überarbeiten. Insbesondere sollten den relevanten Schnittstellen, dem Hosting (Cloud oder On Premise) und der bestehenden Produktpalette (z.B. Microsoft Ökosystem) Beachtung geschenkt werden, um von allfälligen technischen wie auch finanziellen Synergien und Möglichkeiten profitieren zu können.
 

Mehrwert des Systems im Auge behalten

Damit der Mehrwert des neuen Systems für die Organisation möglichst gross ausfällt und diese auch in wirtschaftlicher Hinsicht nachhaltig von der eingeführten Lösung profitieren kann, müssen die gewünschten Ziele und Erwartungen formuliert oder noch besser in Kennzahlen gefasst werden. Schlussendlich gilt es, diese Kennzahlen (z.B. Kostensenkungen, Reduktion Arbeitsschritte) während des Projekts und später auch im operativen Betrieb stets zu kontrollieren. Auf diese Weise kann sichergestellt werden, dass das ERP-System auf dem richtigen Pfad bleibt, die gesetzten Ziele erreicht werden und die richtigen Entscheidungen schnell getroffen sind.
 

Optionen prüfen, Standards hinterfragen

Entgegen der landläufigen Meinung existieren weit mehr als nur zwei bis drei Anbieter von ERP-Software. Obwohl wie eingangs erwähnt einige wenige Anbieter den Grossteil des Schweizer Marktanteils und der Internetpräsenz einnehmen, gibt es dutzende überzeugende ERP-Lösungen auf dem Markt, die alle einen unterschiedlichen Grad an Funktionalität und Stärken aufweisen. Viele Unternehmen entscheiden sich allein aufgrund der Marke für eine Lösung oder orientieren sich an der Wahl der Konkurrenz. Sinnvoll ist es, diejenigen Optionen in Betracht zu ziehen, welche die individuellen Geschäftsanforderungen und Wettbewerbsvorteile am besten erfüllen. Es kann sich folglich lohnen, auch Lösungen zu prüfen, die weniger bekannt sind, aber die individuellen Eigenheiten der eigenen Organisation gut abdecken.
 

Vorgehen in einem Ausschreibungs- und Evaluationsprojekt


Abbildung 1: Schritte in einem Ausschreibungs- und Evaluationsprojekt
 

Die Ausschreibung und Evaluation eines ERP-Systems ist ein wichtiges Vorhaben, das mit Sorgfalt und Voraussicht abgewickelt werden sollte.
 Grundsätzlich kann das Projektvorgehen in vier grobe Phasen unterteilt werden. Dabei spielt es keine Rolle, ob der Ausschreibungsgegenstand ein ERP-System, ein Server oder eine IT-Infrastruktur ist. Den Startpunkt bildet in jedem Fall eine Analyse der Ausgangslage, um Wissen darüber erlangen zu können, was genau ausgeschrieben werden soll. Basierend auf der Analyse und den dabei erhobenen Anforderungen werden die Ausschreibungsunterlagen erstellt und die Ausschreibung durchgeführt. Eingehende Angebote werden in einem dritten Schritt evaluiert und einander gegenübergestellt. Schlussendlich folgt die Entscheidung für eine Lösung und somit die Unterzeichnung des Vertrags mit dem Software-Lieferanten. Ein solches Projekt ist ein aufwendiges Unterfangen, das in der Regel sechs bis zwölf Monate dauern kann und auf keinen Fall unterschätzt oder im Eilverfahren durchgeführt werden sollte.
 

Anforderungen dokumentieren

Im Wissen um die Projektziele gilt es zu Beginn eines Ausschreibungs- und Evaluationsprojekts, die Anforderungen an die gewünschte Lösung (SOLL-Situation) aufzunehmen. Die Anforderungen werden gesammelt, dokumentiert und priorisiert. Sie müssen nicht unbedingt im Pflichtenheft selbst festgehalten werden, sondern können auch in einem Anhang, z.B. in Form einer Excel-Tabelle, dokumentiert sein. Der Struktur des Anforderungskatalogs sollen idealerweise unterschiedliche Prozesse oder auch Systemteile/Module entnommen werden können. Zudem gilt es, nicht nur Anforderungen an die Applikation selbst zu erheben, sondern auch an das Projekt zur Einführung des ERP-Systems, den Betrieb der Lösung und ggf. auch an die Ablösung des bestehenden Systems.

Im Zuge der Anforderungserhebung ist es wichtig, die Ausgangslage, die relevanten Prozesse und die technische Architektur, in welche die Lösung eingebettet werden soll, zu berücksichtigen. Ein ebenso entscheidender Punkt ist das Abholen der Bedürfnisse von Personen, die Berührungspunkte mit relevanten Prozessen oder Themen rund um das ERP-System haben (Stakeholder). Es gilt also zu überlegen, welche Prozesse mit dem ERP-System unterstützt oder abgebildet werden und welche Personen im Unternehmen von allfälligen Änderungen betroffen sind. Insbesondere sollen auch kritische Stimmen eingebunden werden, um möglichst viele Stolpersteine, Ängste und Gefahren früh genug und geschickt adressieren zu können.

Ergänzt wird das Pflichtenheft in der Ausschreibung mit weiteren relevanten Informationen. Dazu gehören Angaben zum Unternehmen, zur Ausgangslage und zur Ist-Situation, zum Zeitplan, zu den Rahmenbedingungen (z.B. Anzahl User, Buchungen usw.) sowie zum Auswahl- und Bewertungsverfahren. Ebenfalls sollte ein Preisblatt im Anhang beigefügt werden, um die Kosten des Angebots strukturiert erheben und vergleichen zu können.


Abbildung 2: Beispiel eines Inhaltsverzeichnisses eines Ausschreibungsdokuments
 

Die Flut an möglichen Lösungen bewältigen

Dass der Markt eine Fülle von ERP-Lösungen zu bieten hat, kann für Organisationen, die ein ERP-System suchen, Fluch und Segen zugleich sein. Einerseits steigt dank der grossen Auswahl die Wahrscheinlichkeit, dass eine passende Lösung, die genau auf die eigenen Anforderungen hin abgestimmt ist, gefunden wird. Andererseits besteht aber auch die Gefahr, dass in der Menge der potenziellen Lösungen die passendste untergeht.

Umso wichtiger ist es, dass bereits in der Anforderungserhebung, wenn das grobe Anforderungskonstrukt steht und das Pflichtenheft wächst, eine erste Marktanalyse und Recherche durchgeführt wird. Bei dieser Recherche sollten Organisationen grundsätzlich offen für alle Arten von Lösungen sein und gleichzeitig das Endziel im Fokus behalten. Das bedeutet, dass auch unbekanntere Lösungen, die zu passen scheinen, berücksichtigt werden und solche, die zwar einen bekannten Namen tragen oder mit Design überzeugen, gleichzeitig aber klare funktionelle Defizite aufweisen, relativ zügig aussen vor gelassen werden sollten. Am Ende der Marktrecherche resultiert eine sogenannte «Longlist» von potenziellen Lösungen.

Im nächsten Schritt ist es ratsam, mit den Anbietern auf der Longlist bereits erste kurze Gespräche zu führen oder zusätzliche Informationen anzufordern, um die grundsätzlichen Möglichkeiten der Lösungen abzufragen und erste Eindrücke zu gewinnen. Lösungen, die nach diesem Schritt überzeugen, werden im Folgenden sinnvollerweise auf eine «Shortlist» überführt. Wichtig ist, dass diese Shortlist nicht mehr als fünf bis acht Lösungen enthält. Die Anbieter können zu diesem Zeitpunkt bereits angefragt werden, ob ein grundsätzliches Interesse an der Teilnahme an der Ausschreibung besteht. Dies kann die Chance erhöhen, dass der Grossteil der Anbieter auf der Shortlist auch wirklich ein Angebot einreicht.
 

Durchführung der Ausschreibung

Sobald die Ausschreibungsunterlagen erstellt sind und die Shortlist vorliegt, können die Unterlagen an die Anbieter verschickt werden. Im Kontext dieses Versands sollte der im Ausschreibungsdokument enthaltene Zeitplan eingehalten und die wichtigsten Pfeiler (z.B. Abgabedatum) kommuniziert werden. Wenn noch nicht alle Anbieter Teil von Vorgesprächen waren, sollten diese vorgängig kontaktiert werden, damit sie nicht ungefragt und unerwartet eine Einladung zur Ausschreibungsteilnahme erhalten. Je persönlicher der Kontakt und die Interessensbekundung an einer Lösung, desto eher kann auch mit der Partizipation eines Anbieters gerechnet werden.

In einem klassischen Ausschreibungsverfahren beträgt das Zeitfenster für die Angebotsabgabe mindestens vier Wochen. Es empfiehlt sich aber, den Anbietern sechs bis acht Wochen Zeit zu geben, damit eine breite Partizipation an der Ausschreibung erfolgt qualitative hochstehende Angebote eingehen. Nach den ersten 10 bis 14 Tagen empfiehlt es sich, eine offizielle Fragerunde durchzuführen. Zuvor haben alle Bewerber die Möglichkeit, ihre Fragen per E-Mail einzureichen. Diese beantwortet die ausschreibende Organisation innerhalb von weniger Tagen schriftlich. Grundsätzlich sollten alle Anbieter über den gleichen Informationsstand verfügen. Sollte ein Anbieter aus unterschiedlichen Gründen zusätzliche Informationen erhalten, sind diese auch den anderen zu kommunizieren.

Am Tag der Abgabe werden die Angebote gesammelt und abgelegt. Die Anbieter sollten zudem eine Empfangsbestätigung sowie Informationen zum weiteren Verfahren (Rückmeldezeitrahmen, Bewertungsvorgehen usw.) erhalten.
 

Evaluation und Entscheidung

Die Prüfung und Bewertung der Angebote erfolgt in aller Regel in mehreren Runden und durch mehrere Personen. Dabei sollten die zuvor kommunizierten Angaben zum Auswahl- und Bewertungsverfahren eingehalten werden. Anhand eines gut vorbereiteten Bewertungsformulars lassen sich die Angebote gut gegenüberstellen. Nebst den darin festgelegten Kriterien sind auch subjektive Eindrücke vom Anbieter und dessen Lösung in die erste Beurteilung miteinzubeziehen, diese sollten allerdings nicht zu stark gewichtet sein.

Nach einer ersten Bewertungsrunde, in der ein Bewertungsformular pro Angebot ausgefüllt wurde, empfiehlt es sich, Showcases (ggf. auch gepaart mit Angebotspräsentationen) zu veranstalten. Dazu werden die Anbieter eingeladen, eine oder mehrere vorab kommunizierte Funktionen, Prozesse oder Workflows in ihrem ERP-System zu demonstrieren. Auch diese Showcases sollten einheitlich beurteilt und in die Bewertung einbezogen werden. Es empfiehlt sich zudem, die Showcase-Daten bereits im Zeitplan, der mit den Ausschreibungsunterlagen verschickt wird, bekanntzugeben und den Anbietern nahezulegen, sich diese Termine zu reservieren. Gegen Ende der Evaluation lohnt es sich immer, Referenzen bei bestehenden Kunden der Anbieter einzuholen.

Nach den Bewertungsrunden sollten die Bewertungen der Angebote konsolidiert werden. Bei Bedarf können zuvor auch noch Verhandlungen über den Preis oder Modalitäten stattfinden. In dieser Konsolidierungsrunde werden allfällige offene Fragen oder Unsicherheiten intern besprochen, um in einem letzten Schritt einen Sieger zu küren. Die Kommunikation über den Zuschlag inklusive kurzer Begründung erhalten alle Anbieter. Idealerweise findet mit jenen, die den Zuschlag nicht bekommen haben, auf Wunsch ein individuelles und ausführliches Feedback-Gespräch statt.

Mit dem Zuschlagsempfänger werden zum Abschluss des Projekts die Verträge, Service Levels usw. aufgesetzt und unterzeichnet. Hier kann es sich lohnen, eine externe Rechtsberatung für einen groben Review in Anspruch zu nehmen, um sich gegenüber dem Anbieter in den wichtigsten Punkten gut zu positionieren. Auch hier empfiehlt es sich, bei Bedarf weitere Verhandlungen durchzuführen. Zur selben Zeit kann ein Kick-off für das Umsetzungsprojekt organisiert und die ersten Schritte geplant werden.
 

Zusammenfassung

Ausschreibungs- und Evaluationsprojekte sind Vorhaben, die in ihrer Komplexität nicht unterschätzt werden sollten. Es ist essenziell, in der Analyse-Phase sorgfältig vorzugehen und dafür zu sorgen, dass keine wichtige Anforderung in den Ausschreibungsunterlagen vergessen geht. Der Ablauf des Ausschreibungsverfahrens muss von A bis Z durchdacht sein und die Anbieter müssen über alle relevanten Informationen verfügen, damit angemessene und qualitativ hochstehenden Angebote eingehen.

Schlussendlich gilt es auch, die Bewertung fair und objektiv durchzuführen. Ein Ausschreibungsverfahren verfolgt das Ziel, die bestmögliche Lösung zu finden. Es liegt daher im Interesse der Organisation, offen gegenüber allen möglicherweise passenden Lösungen zu sein.

Ein grosser Vorteil ist es, den Markt zu kennen, Informationen einordnen zu können und mit den wichtigsten Aspekten einer Ausschreibung und Evaluation vertraut zu sein. Auch die Kommunikation mit den Anbietern ist entscheidend. Für Organisationen, die kaum Erfahrung mit Ausschreibungen und Beschaffungen haben, kann sich der Prozess schnell als Stressakt herausstellen. Es ist daher ratsam, bei einer Ausschreibung einen spezialisierten Partner beizuziehen, der das Projekt mit Fachwissen begleiten und bei Bedarf beratend zur Seite stehen kann.

 

Disclaimer:

Dieser Artikel berücksichtigt nicht die gesetzlichen Anforderungen bei einer öffentlichen Beschaffung gemäss Verordnung über das öffentliche Beschaffungswesen (VöB). Das Vorgehen unterscheidet sich in gewissen Punkten. Bei Fragen zu Ausschreibungen nach VöB oder zum VöB selbst unterstützen Sie unsere IT-Berater und Juristen sehr gerne.

 


 

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