Immobilienentwicklung im urbanen Raum - eine Krux?

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Wohnraum in Städten an gut erschlossener Lage ist in der Schweiz ein knappes Gut. Investoren und Immobilienentwickler sehen in der zunehmend wachsenden Nachfrage einen lukrativen Markt und die Möglichkeit, langfristig sichere Anlagen zu tätigen. In ihren Bestrebungen, möglichst viele Brachen, Baulücken und unternutzte Grundstücke und Areale für Immobilienprojekte zu nutzen werden sie jedoch oft von strengen Vorgaben und unterschiedlichen Ansprüchen gebremst. Welche das sind und worauf es bei der Planung der sogenannten Immobilienentwicklung nach innen zu achten gilt, erfahren Sie in diesem Beitrag.

Die qualitätsvolle Siedlungsentwicklung nach innen, also die verdichtete Bauweise inmitten von Städten und Dörfern, ist seit der Annahme des revidierten Raumplanungsgesetzes (RPG) von 2013 eine Grundprämisse der Raumplanung und zum Gebot gegen die Zersiedelung geworden.

Dass sich die bauliche Entwicklung immer mehr auf gut erschlossene Gebiete in Städten und Dörfern fokussiert, ist zum einen den rechtlichen Rahmenbedingungen, zum anderen aber auch den Marktmechanismen geschuldet: Da bis in die 2010er-Jahre überall in der Schweiz relativ grosszügig Einzonungen vorgenommen wurden, bestanden über Jahrzehnte hinweg stets grosse Baulandreserven. In manchen Kantonen betrugen diese bis zu 20% der gesamten Siedlungsfläche. Mit den rechtlichen Änderungen des RPG wurden die Kantone verpflichtet, zuerst innere Reserven im Baugebiet zu nutzen bzw. nutzbar zu machen, bevor Neueinzonungen ermöglicht werden.

Dieser Paradigmenwechsel war in den ersten Jahren nach der Revision noch wenig spürbar. Investoren und Bauherren transformierten zwar beispielsweise ehemalige Industriegebiete in urbane Quartiere (z.B. Zürich West), da jedoch noch grosse Baulandreserven in der ganzen Schweiz bestanden, fokussierten sie weiterhin Projekte auf unbebauten Grundstücken und Arealen. Dies, weil eine Entwicklung auf der grünen Wiese mit deutlich weniger Aufwand und Risiken verbunden ist als Projekte mit Bestandesbauten, Altlasten oder Nachbarn mit individuellen Bedürfnissen.  

So entstanden unter dem grossen Anlagedruck der letzten Jahre viele Immobilienprojekte an Orten, wo Baulandreserven bestanden und Vorhaben entsprechend rasch umgesetzt werden konnten. Dass Wohnraum an diesen nicht urbanen Standorten nicht der Nachfrage der Bevölkerung entsprach, liess sich an den steigenden Leerwohnungsquoten in vielen ländlichen Gemeinden beobachten.

 

Komplexe Aufgaben für Investoren und Entwickler

Inzwischen sind viele dieser altrechtlichen Baulandreserven überbaut, sodass das jahrzehntelang funktionierende Modell von Immobilienentwicklungen auf der grünen Wiese nicht mehr funktioniert. Investoren, Bauherren und Entwickler konzentrieren sich daher auf Entwicklungsprojekte nach innen, also im bestehenden Siedlungsraum. Die Aufgabenstellung wird indes immer anspruchsvoller. Insbesondere drei Themen sollten daher bereits beim Startschuss der Planung fokussierte werden:
 

Genug Zeit für die Suche nach dem richtigen Partner einplanen

Die Herausforderung beginnt bereits bei der Definition des Planungsperimeters und der Suche nach Partnern, die kompatible Entwicklungsvorstellungen haben. Eine offene und ehrliche Kommunikation bezüglich finanzieller Möglichkeiten, angestrebter Terminschiene und Vorstellungen hinsichtlich künftiger Nutzung und Bebauung wird allzu häufig vernachlässigt. Eine verbindliche Planungsvereinbarung, bei der gemeinsame und individuelle Ziele formuliert werden, deckt fehlende Übereinstimmungen frühzeitig auf. Sie ist insbesondere dann von grösster Bedeutung, wenn Partner mit unterschiedlicher Entwicklungserfahrung zusammenkommen.
 

Die offene Kommunikation mit der Nachbarschaft initiieren und pflegen

Im Kontext von Entwicklungsvorhaben ist es zentral, einen Fokus der Planung auf die bestehende Nachbarschaft zu legen. Im besten Fall möchte diese gerne in den Planungsprozess einbezogen werden. Durch ausgeklügelte Planungsverfahren kann ein projektspezifisches, zielgerichtetes Mitwirken von Nachbarinnen und Nachbarn, die vom Projekt betroffen wären, ermöglicht werden. Bauherren und Entwickler sollten darauf achten, dass sie Rahmenbedingungen und Gestaltungsfreiräume von Beginn an klar kommunizieren. Beide Seiten müssen sich darüber bewusst sein, im Laufe des Prozesses von eigenen Vorstellungen abrücken zu müssen. Es lohnt sich daher, ein Agreement für eine lösungsorientierte und kompromissbereite Zusammenarbeit zu treffen.

Das Einbeziehen von kritischen Nachbarn ist noch wichtiger. Leider wird im Zuge von Einspracheverhandlungen oft deutlich, dass eine Einsprache durch eine transparentere und adäquatere Kommunikation seitens Bauherren hätte vermieden werden können. Die Praxis zeigt ganz klar, dass die Gesprächs- und Kompromissbereitschaft der Nachbarschaft wesentlich steigt, wenn das offene und ehrliche Gespräch frühzeitig gesucht wird.

Aus taktischen Gründen empfiehlt es sich, in der Phase Vor-/Machbarkeitsstudie nur mit Skizzen ausgerüstet die Anstösser einzubeziehen. Konkrete Visualisierungen oder ausgearbeitete Pläne vermitteln beim Gegenüber den Eindruck, dass (auch wenn dies nicht zutrifft), bereits viel entschieden ist und keine Möglichkeit mehr besteht, Einfluss auf die weitere Entwicklung nehmen zu können. Auch sollten diese Skizzen tendenziell überdimensioniert ausfallen, was ein Entgegenkommen im Laufe allfälliger Verhandlungen wahrscheinlicher macht und dem Nachbarn oder der Nachbarin das Gefühl gibt, etwas erreicht zu haben. Auch im weiteren Verlauf der Planung ist eine regelmässige, aktive Kommunikation (Projekthomepage, Newsletter, Broschüren) empfehlenswert. So fühlt sich das Umfeld miteinbezogen und ernstgenommen.
 

Relevante Behörden frühzeitig involvieren

Als dritte, wesentliche Anspruchsgruppe sind die Gemeinde- und Bewilligungsbehörden zu nennen. Siedlungsentwicklung nach innen ist auch für Behöreden eine besonders anspruchsvolle Aufgabe. Viele, oft widersprüchliche Bedürfnisse müssen gegeneinander abgewogen werden und nicht selten wirken Baugesetze und -reglemente einer optimalen Innenentwicklung entgegen. Für Investoren und Entwickler kann es ärgerlich sein, dass in der Entwicklungsphase oft keine klaren Ja- oder Nein-Antworten seitens Behörden möglich sind und damit lange Planungsunsicherheiten bestehen.  

Von zentraler Bedeutung ist es daher, von Anfang an Kenntnis darüber zu haben, welche Stellen involviert sind und diese einzubeziehen. Bei Innenentwicklungsprojekten spielen oft auch die kantonalen Fachstellen für Denkmalpflege und/oder Heimatschutz (z.B. bei Vorhaben in ISOS-Perimetern) oder auch Naturschutz, wenn seltene Tierarten betroffen sein könnten, eine wichtige Rolle. Wenn die Bereitschaft besteht, können Vertreter z.B. Einsitz oder Beisitz bei qualitätssichernden Verfahren (Studienaufträge oder Wettbewerbe) nehmen.

Immer mehr Gebiete, gerade auch Areale für Innenentwicklungen, unterstehen einer Pflicht zur Sondernutzungsplanung. Die Kombination von zunehmender Komplexität der Planungsverfahren und erst junger Praxis beim Thema Entwicklung nach innen hat dazu geführt, dass die Bewilligungsbehörden häufig überlastet sind und Vorprüfungen und Genehmigungen nicht innerhalb der üblichen Fristen abschliessen können. Es ist daher empfehlenswert, die für das Projekt relevanten Stellen frühzeitig über die geplante Einreichung zu informieren und in der Folge regelmässig, aber verständnisvoll, nachzufragen.

 

Schwierige rechtliche Rahmenbedingungen

Bauen im bestehenden Siedlungsraum ist auch aufgrund der rechtlichen Rahmenbedingungen sehr komplex. Insbesondere aus der Planungs- und Umweltschutzgesetzgebung entstehende Widersprüche stellen für alle Beteiligten eine grosse Herausforderung dar und bedingen eine anspruchsvolle Interessenabwägung.

Die Tatsache, dass zwar eine verdichtete Bauweise an gut erschlossenen (Verkehrs-)lagen erwünscht ist, Projektziele jedoch oft mit den immer strenger ausgelegten Vorschriften zum Lärmschutz kollidieren, stellt eine enorme Herausforderung dar. Im Bereich Lärmschutz zeigte sich in den letzten Jahren exemplarisch, dass qualitätsvolle Innenentwicklung mit einer paragraphengetreuen Auslegung des geltenden Rechts an vielen städtischen Lagen kaum mehr umsetzbar ist. Das Bundesgericht hat in mehreren Entscheiden der lange Zeit gelebten Praxis einer grosszügigen Auslegung der Lärmschutzvorschriften bzw. der Genehmigung von Ausnahmebewilligungen den Riegel vorgeschoben.
 

Zwei Beispiele
2016 entschied das Bundesgericht, dass die Lüftungsfensterpraxis nicht zulässig ist und an allen geöffneten Fenstern eines lärmempfindlichen Raumes die geltenden Immissionsgrenzwerte einzuhalten seien (Urteil 1C_139/2015).

Mit Urteil 1C_91/2020 wurde einem Neubauprojekt am Zürichsee die Bewilligung verweigert. Begründung: Der Neubau, der Wohnungen mit Seesicht vorsah, würde wegen der sich zwischen Gebäude und See liegenden Hauptstrasse zu stark belastet werden und hätte deshalb hangorientiert geplant werden sollen.

Auch in der Stadt Zürich wurde Ende 2021 eine Bewilligung von 124 Neubauwohnungen kassiert, da vor Erteilung der Ausnahmebewilligung versäumt wurde, die Lärmbelastung an der Quelle zu reduzieren, etwa durch Geschwindigkeitsreduktion (Urteil 1C_275/2020).

 

Zwei Beispiele
2016 entschied das Bundesgericht, dass die Lüftungsfensterpraxis nicht zulässig ist und an allen geöffneten Fenstern eines lärmempfindlichen Raumes die geltenden Immissionsgrenzwerte einzuhalten seien (Urteil 1C_139/2015).

Mit Urteil 1C_91/2020 wurde einem Neubauprojekt am Zürichsee die Bewilligung verweigert. Begründung: Der Neubau, der Wohnungen mit Seesicht vorsah, würde wegen der sich zwischen Gebäude und See liegenden Hauptstrasse zu stark belastet werden und hätte deshalb hangorientiert geplant werden sollen.

Auch in der Stadt Zürich wurde Ende 2021 eine Bewilligung von 124 Neubauwohnungen kassiert, da vor Erteilung der Ausnahmebewilligung versäumt wurde, die Lärmbelastung an der Quelle zu reduzieren, etwa durch Geschwindigkeitsreduktion (Urteil 1C_275/2020).

 

Fazit

Immobilienentwicklung läuft immer mehr Gefahr, zum Spielball politischer Auseinandersetzungen zu werden. Das Risiko, dass sich ein Projekt um mehrere Jahre verzögert, wenn es dann überhaupt realisiert werden darf, ist so gross wie nie. Da Unsicherheit bekanntlich Gift für Investitionen ist, scheuen viele Investoren Innenentwicklung an gut erschlossenen, urbanen Lagen und setzen lieber auf Projekte ausserhalb der Zentren. Diese versprechen zwar tiefere Mieten und haben ein höheres Leerstandsrisiko, sind dafür jedoch zeitnah umsetzbar, was sich am Ende auch rechnet.

Damit die Planung und Realisierung von Innenentwicklungsprojekten für Investoren und Entwickler interessant und weniger risikobehaftet sind, müssten die Rahmenbedingungen klarer, dafür weniger eng gesetzt werden. Um der ungebrochenen Nachfrage nach Wohnraum Rechnung zu tragen, wäre im städtischen Umfeld mehr Spielraum für bestimmte Ausnahmen für Wohnbauprojekte notwendig. Schliesslich ersetzen solche Neubauten häufig Bauten, die bezüglich Lärmschutz einen schlechteren Standard aufweisen und weniger Wohnraum bieten.

Der Bundesrat plant eine Revision des Umweltschutzgesetzes. Die Vernehmlassung der Vorlage fand Ende 2021 statt, der Bundesratsentscheid und die Botschaft ans Parlament ist für den Herbst 2022 geplant. Unter anderem soll damit erstens die Lüftungsfensterpraxis gesetzlich verankert werden, wonach nicht mehr bei allen Fenstern pro lärmempfindlichen Raum die Immissionsgrenzwerte eingehalten sein müssen. Zweitens wäre es neu zulässig, 1 (bei 2- bis 4-Zimmer-Wohnungen) bzw. 2 (ab 5-Zimmer-Wohnungen) lärmempfindliche Räume zu haben, bei welchen die Immissionsgrenzwerte überschritten sein dürfen. Als Kompensation müssen beim Gebäude lärmgeschützte Aussenräume zur Verfügung stehen (z.B. Innenhöfe). Diese vorgesehene Revision würde eine relevante und wünschenswerte Flexibilisierung gegenüber der heutigen Rechtslage bedeuten.

 


 

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